Horst Stockdreher 1952 geboren in Volkmarsen, Nordhessen, als zweites von vier Kindern eines Eisenbahners
1968 Kochlehre im Bad Hotel Zum Hirschen in Baden-Baden
Darf sein künstlerisches Talent bei der Kreation von Figuren aus Butter und Eis für große Buffets ausleben
Licht der untergehenden Sonne fällt mild auf den erdbraunen Körper neben dem Kamin. Deutlich arbeitet es Strukturen heraus, die zunächst nicht sichtbar waren. Behutsam nimmt der Horst Stockdreher den männlichen Torso in seine großen Hände, präsentiert ihn von allen Seiten und stellt die archaisch anmutende Kreation zurück auf das Bord.
Niemand hat ihm an seiner Wiege von künstlerischer Kreativität gesungen. Sein Vater war Eisenbahner und Horst Stockdreher, am 13. Dezember 1952 im nordhessischen Volkmarsen als zweites von vier Kindern geboren, suchte sich selbst den Weg zu der Welt von Formen und Farben, die ihn von klein auf faszinierte. „Wir hatten im Ort eine Ziegelei“, erzählt der Mann mit dem fast kahl geschorenen Kopf und den buschigen Augenbrauen. Da hat er die ersten kleinen Figuren und Formen aus Ton gefertigt. „So aus Spaß einfach, spielerisch, es machte Freude, etwas entstehen zu sehen und selbst zu gestalten.“
Er wuchs schlicht auf in Volkmarsen. Es war schließlich Nachkriegszeit. Nicht, dass man gehungert hätte, aber üppig war’s nie, und die Welt der Kunst hatte daheim kaum einen Platz. „Es lag absolut jenseits meiner Vorstellungskraft, einen künstlerischen Beruf zu ergreifen“, sagt er heute. Da war zwar später in Kassel die Anerkennung der Lehrer für seine guten Zeichnungen in der Schule oder für originelle Kostüme, die er aus Stoffresten zu Karneval schneiderte, aber das hinterließ keinen prägenden Eindruck. Eher schon sein stundenlanges Herumstöbern auf der „documenta“, einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst. „Ich hatte einfach Spaß daran, kreativ zu sein, etwas zu entwerfen und umzusetzen“, gesteht er. Mit dieser Fähigkeit machte der 15-Jährige bald als Kochlehrling im traditionsreichen Badhotel Zum Hirschen in Baden-Baden auf sich aufmerksam. „Immer, wenn es darum ging, bei großen Buffets Figuren aus Margarine oder aus Eis zu formen, war ich gefragt.
Nach der einfachen Devise „das Auge isst mit“ bringt er später – wann immer möglich – Kunst auf den Teller, ob im „Carlton“ in Lausanne oder im „Inter-Continental“ und im „The Portman“ in London.
Erst als er 1978 nach Hamburg kommt, und acht Jahre lang im „Candian Pacific Hotel“ (heute Radisson SAS) arbeitet, zuletzt als zweiter Küchenchef, wird der künstlerische Autodidakt entdeckt. „Ich habe dort 1981 zum ersten Mal ausgestellt und war wahnsinnig aufgeregt“, sagt er. „Ölbilder von Dünenlandschaften. Die Anregungen hatte ich von Sylt mitgebracht. Schon als Kind war ich in den Ferien dort gewesen.“ Fünf Bilder wurden verkauft. „Auch das, an dem ich am meisten hing.“ Zwei Jahre später wechseln beim Stadtjubiläum im heimatlichen Volkmarsen 12 seiner 15 ausgestellten Ölbilder mit Motiven aus dem Ort den Besitzer.
Das Hamburger Hotel fördert ihn, die Medien entdecken ihn. Weitere Ausstellungen folgen. Er genießt den Trubel, bleibt aber bei seinem erlernten Beruf. Mit Hilfe von Fachzeitschriften, Fachliteratur und unzähligen Museums- und Galerie-Besuchen bildet er sich künstlerisch weiter. „Für Kurse oder Studien hatte ich einfach wegen meines Jobs nie genug Zeit.“
Bald gibt es immer weniger künstlerische Ausdrucksformen, in denen er sich nicht versucht hätte. Er zeichnet, benutzt Kohle, Pastellstifte, malt Aquarelle und landet seit Ende der 80er Jahre auch immer mal wieder bei der Keramik. Nach verschiedenartigen Gefäßen, Vasen, Amphoren hat er die Idee, Panzernashörner aus Ton zu fertigen. Die originellen Tiere, deren dunkelbraune, raue Oberfläche so trefflich die Urtümlichkeit dieser Spezies widerspiegelt, werden ihm geradezu aus den Händen gerissen. Seit 1998 gehören auch immer wieder männliche und weibliche Torsi zu seinem Repertoire. Er ist mit dem Ton ausgesprochen experimentierfreudig, mischt Materialien und lässt die Figurfragmente auf archaische Weise unvollendet.
„Routine langweilt mich“, sagt Horst Stockdreher und kündigt damit an, dass er in seiner künstlerischen Entwicklung nicht bei der gestalterischen Arbeit mit Ton stehen bleiben will. Bleibt abzuwarten, welches Material oder welche kreative Ausdrucksform der drahtige 51-Jährige in naher oder ferner Zukunft für sich erobert…